„Lernseits“ des Geschehens: Lernen anbahnen im Lehren und Leiten
Lernen, egal ob in der Schule, am Arbeitsplatz, im Sport oder im alltäglichen Leben sieht immer LERNENDE und LEHRENDE. Diese stets unhinterfragte Typologie wird durch einen neuen Ansatz von Michael Schratz aus den Angeln gehoben. Lehren ist mit dem Lernen unmittelbar verknüpft, wobei die traditionellen Rollen einander ergänzen oder mindestens in der Person des Lehrenden/Lernenden “abgesprochen werden“, um die Wirkung eines Lernprozesses zu erzielen (sieht fast nach einer pädagogischen Bewusstseinsspalten aus).
Am Beispiel der Schulentwicklung: Jedes LEHREN ist wirkungslos, das nicht das LERNEN der Schüler/innen im Focus hat.
Lernen ist ein komplexes Phänomen und verlangt nach besonderen Zugängen zum Lehren und Leiten in jenen Kontexten, die dem Lernen und der Bildung verpflichtet sind. „Lernseits“ (Schratz 2009) des Geschehens in diesen Handlungsfeldern bedeutet, dass Lehren und Leiten im Modus des Lernens zu denken sind, weil sich Unterricht wie Führungsprozesse erst im Lernen des Anderen vollziehen.
Schule „lernseits“ betrachtet erfordert den Versuch, die Beziehung zwischen Pädagog/innen an der Schule neu zu bestimmen. In einer „lernenden Schule“ (Schratz & Steiner-Löffler 1998) steht ein gemeinsam geteilter Lebenszusammenhang im Mittelpunkt, in dem sich alle als Lernende verstehen und ihre Aktivitäten im Modus des Lernens denken. (Schratz et al 2010)
Pädagogische Perspektiven auf die Komplexität des Phänomens Lernen stellen herausfordernde Ansprüche an Lehren und Leiten. Die Offenheit für Gegenwärtiges, die günstige Gelegenheit zu ergreifen, um Lernen anzubahnen (vgl. Meyer-Drawe 2008), ist in einer lernseitigen Orientierung grundgelegt, die den bildenden Charakter von Erfahrungen deutlich macht und davon ausgeht, dass Bildung sich erst in der Auseinandersetzung mit Welt ereignet. Nicht das standardbezogene Konstrukt eines Individuums steht im Mittelpunkt einer lernseitigen Orientierung, sondern die Erschließung von Weltbezügen.
Wer im Modus des Lernens lehrt, sucht den bildenden Wert im Vollzug des Lernens zu erkennen und mit pädagogischem Takt zu handeln. In dieser Einstellung lenkt etwa die Widerständigkeit von Lernvollzügen den Blick auf immanente Unwägbarkeiten und Ambivalenzen des Lehrens und Leitens. Lernseits und Lehrseits als die beiden Seiten der pädagogischen Medaille sind einander genauso entgegengesetzte wie aufeinander bezogene Erfahrungen und für das Lernen aller Beteiligten konstitutiv.
Schulreformen sind erst dann erfolgreich, wenn sie sich so auf die Bildungsprozesse der Schüler/innen auswirken, dass diese als mündige Bürgerinnen und Bürger an einer demokratischen Gesellschaft nicht nur teilhaben, sondern die Gesellschaft auch gestalten. Wenn auf allen Ebenen des Bildungssystems Leadership for Learning (vgl. MacBeath & Cheng 2008) gelebt wird, verringert sich die Distanz zwischen Policy und Praxis und alle Systemebenen nehmen ihre jeweilige Verantwortung für das Lernen der Beteiligten wahr.
Lernseitige Entwicklung im Gesamtsystem bedeutet, dass sich alle Bemühungen konsequent auf die Fruchtbarkeit von Lern- und Bildungsprozessen aller Schülerinnen und Schüler richten.
Lit.
- MacBeath, J. & Cheng, Y.-C. (Hrsg.) (2008): Leadership for Learning: International Perspectives. Rotterdam: Sense Publishers.
- Meyer-Drawe, Käte (2008): Diskurse des Lernens, München.
- Schratz, Michael (2009): “Lernseits” von Unterricht. Alte Muster, neue Lebenswelten – was für Schulen? In: Lernende Schule, 12 (2009), 16–21.
- Schratz, Michael & Westfall-Greiter, Tanja (2010): Schulqualität sichern und weiterentwickeln, Seelze: Kallmeyer.
- Schratz, Michael, Schwarz, Johanna & Westfall-Greiter, Tanja (2011): Personale Bildungsprozesse in heterogenen Gruppen. In: Zeitschrift für Bildungsforschung, 1, 2011, 25-39.
Zukunft des Lernens: Wie digitale Medien Schule, Aus- und Weiterbildung verändern
Kral, P. (2012). QR-Codes im Unterricht – ein methodisch-didaktischer Paarlauf von Medienkompetenz und selbstorganisiertem Lernen? In: Blaschitz, E.; Brandhofer, G.; Nosko, C.; Schwed, G. (Hrsg.) (2012). Zukunft des Lernens. Wie digitale Medien Schule, Aus- und Weiterbildung verändern. Glückstadt: vwh, S. 315-333. ISBN-10: 3864880289, ISBN-13: 978-3864880285.