Der Brief des „Bildungsvolksbegehren“ | Route 2011-2013

Das war 2011:

Volksbegehrens Bildungsinitiative: 3.-10. November 2011 4.2.2011 Ihre Unterschrift zählt für die Zukunft unserer Jugend

Kurztext Unterstützungserklärung

Wir fordern mittels bundes(verfassungs)gesetzlicher Regelung ein faires, effizientes und weltoffenes Bildungssystem, das vom Kleinkind an alle Begabungen fördert und Schwächen ausgleicht, autonome Schulen unter Einbeziehung der SchulpartnerInnen und ohne Parteieneinfluss, eine leistungsdifferenzierte, hochwertige gemeinsame Schule bis zum Ende der Schulpflicht und ein Angebot von ganztägigen Bildungseinrichtungen, eine Aufwertung des LehrerInnenberufs und die stetige Erhöhung der staatlichen Finanzierung für Universitäten auf 2% des BIP bis 2020.

Auf der Homepage steht die vollständige Liste an Forderungen zum Download bereit.

Das schreiben die Promotoren 2013:

Sehr geehrte
Sehr geehrter ….,

seit Jahren entspricht das österreichische Bildungssystem nicht mehr den Ansprüchen der Zeit und noch viel weniger denen der Zukunft. Allzu oft ist der Unterricht veraltet, außerdem trägt die Bildungsarbeit in großen Teilen weder den neuen pädagogischen noch den neurowissenschaftlichen  Erkenntnissen Rechnung. Vieles geht an den Interessen und Bedürfnissen der jungen Menschen vorbei und hält Strukturen aufrecht , die zu einem beträchtlichen Teil noch aus der Zeit Maria Theresias stammen.

Dazu kommt, dass viele gesellschaftliche  Entwicklungen völlig unberücksichtigt bleiben. Dies gilt für die wachsende Zahl berufstätiger Frauen und Mütter ebenso wie für die bald schon 20 Prozent von Schülerinnen mit Migrationshintergrund . Modeme Berufe erfordern heute auf allen Stufen eine Kombination von Theorie und Praxis – siehe den Erfolg der dualen Ausbildung – , eine klare Feststellung der Talente jedes einzelnen Kindes und dessen Förderung sowie die einwandfreie Beherrschung der Grundkompeten zen Lesen, Schreiben und Rechnen.

Es ist unerträglich, dass bei uns beinahe ein Drittel der Fünfzehnjährigen nicht sinnerfassend lesen kann, dass 79.500 junge Menschen bis zum 24. Lebensjahr keinen Schulabschluss oder nur einen Pflichtschulabschluss besitzen und oft auch keinen Job haben.

Firmen investieren Millionen Euro in Nachhilfe für angehende Lehrlinge , damit diese , die nie richtig lesen, schreiben und rechnen gelernt haben, lehrfähig werden und eine Berufsschule schaffen können?

All diese Versäumnisse werden uns seit Jahren bei allen internationalen Tests bewiesen: Von der OECD über die UNO bis zur EU werden wir ständig aufgefordert, unser Bildungssystem endlich zu modernisieren .

Aufgrund dieser Tatsachen haben wir vor mehr als zweieinhalb Jahren, also mehr als der Hälfte der zu Ende gehenden Legislaturperiode, ein überparteiliches Volksbegehren initiiert.  Mit 383.724 Unterschriften konnte, gemessen an den vorausgegangenen  und vor allem den nachfolgenden Volksbegehren, ein beachtlicher Erfolg erzielt werden.

Der Nationalrat hat die Bedeutung des Bildungsvolksbegehrens  erkannt und dessen Forderungen entsprechend behandelt. Nach einer niveauvollen ersten Lesung am 19. Jänner 2012 wurde ein „Besonderer Ausschuss “ zur weiteren Behandlung eingesetzt. Dieser tagte unter Beiziehung einer großen Anzahl von Expertinnen fünf Mal zwischen dem 1. Februar und dem 31. Mai 2012.

Dabei zeigte sich bei den Mitgliedern sämtlicher Fraktionen erfreulicherwe ise eine große Übereinstimmung. Diese fand in den Feststellungen „jetzt müssen Nägel mit Köpfen gemacht werden und der Sack zugemacht werden“ beredten Ausdruck . Es schien zunächst auch so, als würden in der letzten Sitzung eine Reihe von Beschlüssen gefasst werden . Für noch offene Fragen war eine parlamentaris che Enquete für den Herbst geplant. Auch sollten die Sozialpartner zu einer Einigung gebracht werden.

Umso größer war die Überraschung und Enttäuschung , als es in der letzten Sitzung des Ausschusses  plötzlich hieß, „dass man auf die realpolitischen Machtverhältnisse Bedacht nehmen müsse“, wie dies der damalige Bildungssprecher der ÖVP, Abgeordneter Werner Amen, formuliert hat. Die Folge dieser Feststellung war , dass kein einziger konkreter Beschluss gefasst wurde. Soviel zur Wertschätzung erfolgreicher direktdemokratischer Initiativen und zum Verständnis, dass Abgeordnete nur ihrem Gewissen verpflichtet seien.

Die in der Folge gesetzten Reformschritte – insbesondere den Gesetzesentwurf zur Pädagoglnnenbildung NEU sowie den Beschluss über Ganztagesschulen – begrüßen wir sehr. Jedoch kann dies nur ein Anfang sein, dem viele weitere Beschlüsse und Maßnahmen folgen müssen. Denn wir dürfen die Zukunft unserer Kinder und unserer Jugend und damit auch die Zukunft unseres Landes nicht aufs Spiel setzen. Die soeben publizierte deutliche Verschlechterung  unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist nur ein Hinweis auf diese bedrohliche Entwicklung.

Umso wichtiger erscheint es den lnitiatorlnnen des Bildungsvolksbegehrens , dass die Bildungsthematik ein zentrales Thema bei den heranstehenden Nationalratswahlen wird. Daher erlauben wir uns einige der wichtigsten Anliegen des Bildungsvolksbegehrens anzuführen und dürfen Sie ersuchen, die Position Ihrer Partei bzw. Ihrer Fraktion zu den gestellten Fragen festzuhalten und auch anzuführen, auf welchem Weg Sie eine ehestmögliche Umsetzung beabsichtigen:

In Österreich können 28% der Fünfzehnjährigen nicht sinnerfassend lesen und 79.500 Jugendliche bis zum 24. Lebensjahr haben keine ausreichende Schulbildung und oftmals keinen Beruf. Wobei es gleichzeitig einen Mangel an qualifizierten Fachkräften gibt.

Was werden Sie gegen diese paradoxe Situation unternehmen?

  1. In zwei Drittel aller OECD-Länder gibt es verschränkte Ganztagsschulen , das heißt Schulen, in denen herkömmlicher  Unterricht mit selbständigem , kreativen Probleme-Lösen verbunden wird, auch in Kooperation mit Betrieben und gesellschaftlichen  Einrichtungen, um Theorie und Praxis zusammenzuführen ; wo Theater-Projekte , verstärkter Musik-, Sport- und Handwerksunterr icht angeboten werden, Naturwissenschaften und Technik vertieft , breitere Einsichten in Recht und Wirtschaft geboten und gemeinsam mit Pädagoginnen gegessen und Freizeit erlebt wird , ohne Hausaufgaben und mit stetig sinkendem  Nachhilfe-Bedarf.
    Darüber hinaus steht außer Frage, dass die Trennung von 9- und 10-jährigen Kindern am Ende der Volksschulzeit aus menschlichen, pädagogischen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Überlegungen völlig unangebracht ist.

Wie stehen Sie zu dem Projekt „verschränkte Ganztagsschule und gemeinsame Mittelstufe als Regelschule“?

  1. Östereich hat 5.860 Schulen. Mehr als die Hälfte davon, nämlich 3.245, sind Klein-und Kleinstschulen bis maximal 8 Klassen und 150 Schülern. Hier kann vieles nicht angeboten werden, was in größeren Schulen möglich ist. So z. B. die Zusammenfassung in Clusterschulen, die unter einem Dach mit Kinderkrippen beginnen und bis zur Matura führen . Auch die Teilnahme an nationalen und internationalen Musik-, Sport- und Theater-Wettbewerben  wie an naturwissenschaftlichen  oder sprachlichen Olympiaden  ist meist ausgeschlossen. Während in anderen  Ländern größere Schulzentren üblich sind, gibt es in Österreich nur 226 Schulen mit mehr als 800 Schülern.

Was halten Sie von größeren Strukturen auch in unserem Land?

  1. In 19 von 35 OECD Ländern sind sämtliche Lehrerinnen verpflichtet, alle ihre Tätigkeiten ganztägig an den Schulen aus zu üben. Dadurch steigt nicht nur die Unterrichtsqualität , sondern es ermöglicht auch die Bildung von tragfähigen Beziehungen zwischen den Pädagoginnen und ihren Schülerinnen, was eine wichtige Voraussetzung für gelingendes Lernen ist. Außerdem werden dadurch nicht nur das Unterrichten, sondern auch alle anderen pädagogisch notwendigen Tätigkeitsfelder von Pädagoginnen als wichtige Aufgaben ihrer Profession anerkannt.

Wie stehen Sie dazu, dass Lehrerinnen und Schülerlnnen auch bei uns in derRegel von 8:30 bis 16:30 Uhr an den Schulen sind?

  1. Die Bundesregierung hat sich zu einer universitären Ausbildung aller Lehrerinnen in Österreich auf Masterniveau entschlossen, was sehr zu begrüßen ist und hoffentlich so bald aus möglich auch für Kindergartenpädagoginnen  beschlossen wird. Dennoch will die Gewerkschaft, dass Pflichtschullehrerlnnen ein anderes Dienst-und Besoldungsrecht haben sollen als AHS-und BHS Lehrerinnen. Somit würde ein Pflichtschulleher/in in einer NMS – bei gleicher Ausbildung  und gleicher Tätigkeit- eine höhere  Lehrverpflichtung haben als ein AHS-Lehrer/in, aber einen geringeren Lebensverdienst. Daher muss in Zukunft der Grundsatz gelten: Gleiche Besoldung für gleiche Ausbildung.

Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?

  1. Österreich gibt pro Schülerln im internationalen Vergleich viel Geld für die Schulbildung aus bei gleichzeitig geringer Effizienz (siehe die bedrohliche Anzahl der Schülerlnnen die nicht sinnverstehend lesen können). Ein Teil dieser Mittel versickert in einer Schulverwaltung , die viel zu viele Verwaltungsebenen und Doppelgeleisigkeiten aufweist. Dazu kommt der Parteienproporz bei allen wichtigenPersonalentscheidungen, der bei uns sogar in der Bundesverfassung festgeschrieben ist. Parallel dazu fehlt es den Schulen am notwendigen Gestaltungsspielraum, d.h. Autonomie in Personalentscheidungen sowie Verantwortungsübernahme.

Was werden Sie unternehmen, um Effektivität und Effizienz des Schulsystems zu steigern?

  1. Die Universitäten sind in Österreich im internationalen Vergleich nicht nur unterdotiert, was die internationale Konkurrenzfähigkeit in der Forschung gefährdet , sondern sie haben auch keine Planungssicherheit , da es keine Studienplatzfinanzierung gibt. In manchen Studienrichtungen kommen auf einen Professor/in mehr als 300 Studierende, was nicht zumutbare Bedingungen für   ernende und lehrende bedeutet und die Qualität der Studien beeinträchtigt. Als Konsequenz gehen auch die (viel zu wenig en) Absolventlnnen in den sogenannten MINT-Fächer (Mathematik , Informatik, Naturwissenschaften und Technik) immer häufiger insAusland, weil dort die Arbeits-wie auch die Forschungsbedingungen besser sind.

Was wollen Sie tun, um diese Situation zu ändern und zu verbessern?

  1. Soeben hat die Statistik Austria herausgefunden, dass von den rund 280.000 Studierenden an Österreichs Hochschulen ziemlich genau 100.000 jährlich so gut wie keine Prüfungen ablegen. Diese Studenten inskribieren mehr oder weniger auf gut Glück – oft neben einem Beruf, da diese Versuche ohnedies kostenlos sind . Viele davon inskribieren aber auch nur deshalb, weil sie dadurch in den Genuss der Sozialversicherung  gelangen.

Was werden Sie gegen diese höchst unbefriedigende Situation unternehmen?

  1. Ein großes Problem für die österreichische Bildungspolitik ist unser Föderalismus. Das beginnt schon bei den Kinderkrippen und Kindergärten. Obwohl die Jahre vor der Unterrichtspflicht des Kindes entscheidende Grundlagen für jeden weiteren Bildungsweg legen, egal ob für autochtone Kinder oder für Kinder mit Migrationshintergrund, gehören diese Einrichtungen immer noch nicht zur Bildung und damit in das zuständige Bundesministerium . Konsequenz daraus sind große Unterschiede zwischen den Ländern. So bietet Niederösterreich nur für 8% der Ein-bis Dreijährigen geeignete Plätze an, Wien hingegen für 36%. Alle anderen Länder liegen irgendwo dazwischen. Jedes Land hat unterschiedliche Angebote für Ganztagsplätze, unterschiedliche Öffnungszeiten im Sommer , sowie unterschiedliche Dienstrechte und Bezahlungen.

Was werden Sie tun, um gleiche Bildungsbedingungen im Kindergarten für alleKinder zu ermöglichen?

  1. Analoge Heterogenitäten gibt es bei der wichtigen Behinderten-Inklusion. Hier schwanken die Quoten länderweise von 35% bis 84%; das Mittel beträgt österreichweit 50%.

Was werden Sie tun, damit die UN-Behinderten Konvention, die eine möglichst volle schulische Inklusion vorsieht , so wie zB in Südtirol (97%) auch in Österreich umgesetzt wird?

  1. Im vergangenen Jahr hat der österreichische Staat (Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände)  über 50% seiner Gesamtausgaben für „soziales“ und„Pensionen “ aufgewendet, also für ältere Menschen in diesem Land und für dieErhaltung bzw. Reparatur unserer Sozialstrukturen. Für Schulen, Universitäten, Wissensch aft und Forschung, also für die Zukunft unserer Jugend (Kinder, Enkel) sind nur 11% ausgegeben worden, für den Elementarbereich sogar nur 0,5%.

Was werden Sie unternehmen, damit Schulen, Universitäten, Wissenschaft undForschung eine für die Zukunft unseres Landes adäquate Beachtung imBundesbudget finden?

Wir sehen Ihrer Antwort mit großem Interesse entgegen. Wir werden diese einer breiten Öffentlichkeit als Grundlage für die Wahlentscheidung jedes Einzelnen darlegen.

 Mit bestem Dank für Ihre Bemühungen verbleiben wir

mit vorzüglicher Hochachtung

  • Quelle: Download | Brief der Betreiber des Bildungsvolksbeghrens
    Verein „Bildungsinitiative für die Zukunft“, ZVR -Zahl 893139934, UID: ATU66239206Vorstand: Dr. Hannes Androsch, Beppo Mauhart, Univ.Prof. Dr. Bernd Schilcher,Dr.Alois Schittengruber, Dr. Ingr id Vogl,WP/StB Dkfm.Franz Gogg, WP/Stß Mag.Johannes Mörtl,Bankverbindung: Raiffeisenlandesbank OOE, Kontonummer: 10579, BLZ: 34000, IBAN: AT90 3400 0000 0001 0579 BIC: RZOOAT2L

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